EDIT 2.12.25: Mir ist aufgefallen, dass es noch einfacher geht: Würfle direkt den Modifikator aus. 1W8–1W8 etwa. Oder nimm W6 oder W4 für weniger stark abweichende Ergebnisse. Die neue Tabelle hab ich etwas größer gemacht, um mehr Spielraum für Rechnungen zu lassen:


Und hier das Aktualisierte als PDF.
Die Seereise
Kennt ihr das? Ihr wollt im Rollenspiel eine komplexe Situation abbilden – zum Beispiel eine Seereise1.
Sagen wir, unter normalen Umständen dauert sie 10 Tage. Aber natürlich spielen viele Faktoren eine Rolle: der Wind, die Strömung, die Qualität der Crew und der verfaulte Rumpf des Schiffs. Wenn man die einzelnen Faktoren wirklich definiert haben will, würde man schnell in einem mathematischen Albtraum landen:
- Der Wind verdoppelt die Geschwindigkeit (Faktor 0,5).
- Die Strömung bremst massiv (Faktor 1,68).
- Das Schiff ist langsam (Faktor 1,41).
Um die echte Reisedauer zu ermitteln, müsstet ihr den Taschenrechner zücken und diese krummen Faktoren verketten:
Anzahl der Tage = 10 × 0,50 × 1,68 × 1,41 = ?
Spoiler: So wird es nichts. Es gibt aber einen anderen Weg.
Die Lösung
Statt wild Werte malzunehmen, nutzen wir einen Trick, durch den wir nur simple, kleine Zahlen zusammenrechnen müssen. Wir verteilen oder ermitteln einen Wert von –7 bis 7, der aussagt, wie gut oder schlecht es um etwas steht. Die 0 ist neutral. Auswürfeln können wir diesen Modifikator mit einem Differenzwurf:
1W8 − 1W8
(aka würfle zwei achtseitige Würfel und ziehe den zweiten vom ersten ab – oder besser: den hellen vom dunklen). Nimm einen W6 oder einen W4, wenn du weniger extreme Ergebnisse bevorzugst. Wer eine lineare Verteilung bevorzugt würfelt 1W15 oder einen beliebigen ungeraden Würfel mit Modifikator, so dass das Durchschnittsergebnis bei 8 liegt und damit Mod 0 und Faktor 1,00.
Schauen wir uns an, wie wir die 10-Tages-Seereise nun berechnen. Wir haben 5 Faktoren. Für jeden würfeln wir 1W8 – 1W8 und notieren das Ergebnis direkt als Modifikator.
- Das Wetter (Wurf: 2 minus 6): Ergebnis -4. Perfekter Wind! Ihr kommt viel schneller voran. Reisezeit beträgt 33 Prozent (×0,33).
- Die Strömung (Wurf: 7 minus 4): Ergebnis +3. Eine zähe Gegenströmung bremst euch aus. Reisezeit ist 230 Prozent!
- Die Crew (Wurf: 4 minus 4): Ergebnis 0. Die Moral ist okay, alle machen ihren Job. Keinen Einfluss auf Reisezeit.
- Die Navigation (Wurf: 3 minus 5): Ergebnis -2. Der Navigator findet eine kleine Abkürzung durch die Riffe. Reisezeit ist 57 Prozent.
- Das Schiff (Wurf: 8 minus 6): Ergebnis +2. Der Rumpf ist voller Seepocken, das Schiff ist träge. Reisezeit erhöht auf 174 Prozent.
Die Rechnung im Kopf dauert keine zwei Sekunden. Wir addieren einfach die Ergebnisse:
-4 + 3 + 0 – 2 + 2 = -1
Unser Gesamt-Modifikator ist -1. Ein einziger Blick in die Analysetabelle (siehe unten) verrät uns: Ein Mod von -1 entspricht einem Faktor von 0,76: Die Reise dauert nur 76 Prozent der Zeit, also statt 10 Tagen nur 7,6 Tage (10 × 0,76). (Übrigens weil die gesamte Reisegeschwindigkeit Mod × –1 beträgt, also für Mod 1 132 Prozent.)
So haben wir fünf komplexe physikalische Einflüsse simuliert und ein präzises Ergebnis erhalten, ohne ein einziges Mal Kommazahlen multiplizieren zu müssen. Die Tabelle ist das Herzstück. Sie ist symmetrisch aufgebaut und so berechnet, dass sich Vorteile und Nachteile fair ausgleichen. Ihr müsst nur das Endergebnis eurer Summe nachschlagen.
- Massenschlachten: Truppenstärke + Terrain + Moral + Ausrüstung + Taktik. Eine riesige Armee im Sumpf kämpft vielleicht nur mit halber Kraft.
- Verhör-System. Wie viele Infos bekomme ich? Erfolgsfaktoren: Beziehung, Druckmittel, Zeit, Zustand des Verhörten, Motivation nichts zu verraten, Skill des Verhörers.
- Das Stealth-Radar. Auf wie viel Meter entdeckt mich die Wache? Erfolgsfaktoren: Lichtverhältnisse, Deckung, Umgebungsgeräuschpegel, Aufmerksamkeit der Wache, Skill des Schleichenden.
- Basis-Bau-Mechanik. Wie teuer ist es hier eine Basis zu unterhalten? Erfolgsfaktoren: Politische Lage, Anschluss an Handelswege, Fruchtbarkeit der Umgebung, Verteidigbarkeit der Position, Skill des Verwalters.
- Marktpreise. Ihr wollt den Preis für ein Schwert bestimmen (Basis: 100 Gold). Wie wertvoll ist das Objekt? Faktoren können sein: Werkzeug, Zeitaufwand, Materialqualität, Skill des Erschaffers. In einem stabilen Königreich nutzt ihr W4. Der Preis schwankt vielleicht zwischen 43 Gold (-3) und 230 Gold (+3). In einer belagerten Stadt mit Schwarzmarkt nutzt ihr W8. Hier könnte das Schwert plötzlich 700 Gold kosten (+7) oder für 14 Gold verramscht werden (-7), weil jemand es schnell loswerden muss.
Der Loot
Das System ist symmetrisch: Die Tabelle ist so gebaut, dass sich Vorteile und Nachteile mathematisch fair ausgleichen. Dadurch ist es flexibel und robust. Ihr habt vergessen, die Hafenbürokratie einzurechnen? Kein Problem! Würfelt einfach nachträglich einen W9 (z.B. Wurf 7 → Mod +2) und rechnet ihn auf die Summe drauf (von −1 auf +1. 11,9 Tage jetzt). Das System bricht nicht zusammen, egal wie viele Würfe. Es erzählt Geschichten: Ihr seht sofort, warum ihr schnell oder langsam wart. „Wir waren super schnell (Wind), aber der verfluchte Kapitän hat sich verfahren (Navigation)!“
Und die Faktorenqualität ist eine Wunderwaffe für alles, wo Verhältnisse zählen:
- Marktpreise: Basispreis + Angebot + Nachfrage + Legalität + Verhandeln. Szenario: Ihr wollt illegale Ware (Mod +2) in einer belagerten Stadt (Mod +3) kaufen, seid aber charmant (Mod −2). Ergebnis: +3. Der Preis steigt moderat an (Faktor ~1,7), explodiert aber nicht völlig.
- Massenschlachten: Truppenstärke + Terrain + Moral + Ausrüstung + Taktik. Einheiten werden nicht einfach „abgezogen“, sondern ihre Effektivität wird skaliert. Eine riesige Armee im Sumpf kämpft vielleicht nur mit halber Kraft.
- Das „Meisterwerk“-System beim Crafting. Wie wertvoll ist das Objekt? Faktoren können sein: Werkzeug, Zeitaufwand, Materialqualität, Skill des Erschaffers.
- Wahrheits-System beim Verhör. Wie viele Infos bekomme ich? Erfolgsfaktoren: Beziehung, Druckmittel, Zeit, Zustand des Verhörten, Motivation nichts zu verraten, Skill des Verhörers.
- Das Stealth-Radar. Auf wie viel Meter entdeckt mich die Wache? Erfolgsfaktoren: Lichtverhältnisse, Deckung, Umgebungsgeräuschpegel, Aufmerksamkeit der Wache, Skill des Schleichenden.
- Basis-Bau-Mechanik. Wie teuer ist es hier eine Basis zu unterhalten? Erfolgsfaktoren: Politische Lage, Anschluss an Handelswege, Fruchtbarkeit der Umgebung, Verteidigbarkeit der Position, Skill des Verwalters.
Der Loot
Nicht alles im Leben ist multiplikativ. Manchmal geht es einfach um „Menge“ – zum Beispiel beim Schatzfinden. Hierfür nutze ich die Summandenqualität (SQ) mit einem W6.
Hier wollen wir, dass die Ökonomie der Welt langfristig stabil bleibt (Erwartungswert 1), es sich aber trotzdem spannend anfühlt.
Der SQ-Wurf (1W6): 1–3: Faktor ×⅓ 4–5: Faktor ×1 (normales Ergebnis) 6: Faktor ×3
Wenn wir also einen Schatz mit Basiswert 100 Gold finden, dann finden wir in 50 Prozent der Fälle nur Ramsch im Wert von 33 Gold. Aber wenn die 6 fällt, finden wir 300 Gold
Der Clou: Über eine ganze Kampagne hinweg gleicht sich das mathematisch exakt aus. Der Spielleiter muss keine Angst haben, die Wirtschaft zu sprengen, kann aber Schwankungen leicht umsetzen.
Bei alten Versionen von Dungeons & Dragons zum Beispiel steigen die Charaktere Stufen auf, wenn sie Schätze finden. Ein Spielleiter kann je nach Anzahl der Spieler Schätze in einem Abenteuer verteilen und genau festlegen, dass sie dadurch eine Stufe aufsteigen sollen, wenn sie die Hälte aller Schätze finden. Mit einem SQ-Wurf kann ein Spielleiter einfach für Abwechslung sorgen, ohne die Balance dahinter zu verschieben
Die hohe Kunst der Kombination
Das System entfaltet seine volle Magie, wenn wir beide Mechaniken verbinden. Das simuliert perfekt den Unterschied zwischen dem „ersten Eindruck“ (SQ) und der „harten Realität“ (FQ).
Stellt euch vor, die Gruppe findet eine antike Statue.
Schritt 1: Der erste Blick (SQ – Die grobe Schätzung)
Der Spielleiter hat einen Basiswert im Kopf (z.B. 100 Goldmünzen). Jetzt würfelt ein Spieler den SQ-Wurf (1W6) für die erste Einschätzung. Er würfelt eine 6 (Faktor ×3).
Spieler-Wahrnehmung: „Boah! Das Ding ist riesig und funkelt. Das ist sicher 300 Gold wert!“
Wichtig: Diese Faktoren sind wertneutral. Ein Faktor von 1/3 ist nicht automatisch „schlecht“. Beim Goldwert heißt 1/3: „Sieht mickrig aus.“ (Schade für den Spieler). Bei der Zauberdauer hieße 1/3: „Geht rasend schnell.“ (Super für den Spieler). Der Würfel bestimmt nur die Dimension (klein/kurz vs. groß/lang), nicht, ob ihr euch darüber freut.
Schritt 2: Die Analyse (FQ – Die Details)
Später im Lager nimmt der Zwerg die Statue unter die Lupe. Jetzt zerlegen wir die „300 Gold“ (unseren geschätzten Zwischenwert) in Komponenten mittels der Faktorenqualität (W9).
Wir prüfen drei Aspekte: Material, Zustand, Historie.
- Material: Wurf 2 (Mod −3). „Oha, das ist gar kein massives Gold, das ist nur vergoldetes Blei!“ (Faktor zieht runter).
- Zustand: Wurf 5 (Mod 0). „Ganz okay erhalten.“ (Neutral).
- Historie: Wurf 9 (Mod +4). „Wartet mal… das Siegel hier… das stammt aus der verlorenen Dynastie!“ (Faktor schießt hoch).
Jetzt addieren wir die Mods, +1, und verrechnen die Summe mit unserem geschätzten Wert. Der Faktor für +1 ist 1,32, unser Goldschatz ist noch wertvoller geworden: 1,32 × 300 ≈ 400 Gold. Das Ergebnis erzählt die Geschichte des Gegenstands: „Es sah auf den ersten Blick wertvoll aus (hoher SQ), entpuppte sich als billiges Material (schlechtes FQ), ist aber für Sammler unbezahlbar (hohes FQ).“
So erhält eine simple Zahl („Du findest 100 Gold“) ein bisschen Abweichung und eine Geschichte, vielleicht sogar ein kleines Abenteuer.










